Wie erlebt ihr die Situation?

T: Es schmerzt, dass wir nicht im Libanon sein können. Wir sind früher als geplant für unser Sabbatical ausgereist – wegen der Dramatik der Entwicklung. Als wir noch in Beirut waren, haben wir miterlebt, wenn es knallt. Es waren aber nicht Bomben sondern der Knall, wenn die Jets die Schallmauer durchbrechen. Das klingt wie eine grosse Explosion. Das Haus wird erschüttert, die Fenster wackeln und du weisst im ersten Moment nicht, ob das eine Bombe war. Sollst du nun abwarten oder fliehen? Doch die Bomben sind nähergekommen. Leute mussten ihre Wohnung verlassen, von denen wir dachten, sie seien in sicheren Gebieten. Heute haben wir erfahren, dass eine Bombe das Zuhause unserer Freunde zerstört hat. Wo sollen sie hin? Wir tragen ihren Schmerz mit, soweit das möglich ist, wenn man anderswo ist.

Lydia, du hast bereits den Bürgerkrieg (1975-1990) miterlebt. Du hast erzählt, dass es aber diesmal anders ist. Wie erlebst du das?

L: Der Bürgerkrieg war lokal begrenzt. Man wusste, wo man nicht hinsoll und wo es sicher ist. Diesmal ist es anders. Die Angriffe finden in der Gegend der schiitischen Bevölkerung statt. Dort befinden sich die meisten Hisbollah-Anhänger. Aber der Libanon ist so durchmischt. Die schiitische Gegend grenzt an die christliche. Meine Schwester wohnt in der Nähe eines schiitischen Dorfes. Die Bomben werden nicht angekündigt. Es ist Krieg. Du gehst normalerweise in dieses Dorf einkaufen, deine Kinder gehen mit den dortigen Kindern zur Schule. Ihre Lehrerin wohnt in dem Dorf. Es sind keine gesichtslosen Wesen. Es sind unsere Mitmenschen. Das macht es viel schwieriger. Wären es Unbekannte, wäre es anders.

Thomas, du hast vom Mittragen des Schmerzes gesprochen. Wie machst du das?

T: Wir fragen unsere Bekannten, wie es ihnen geht. Wir merken, dass das wichtig ist, wenn sie uns antworten: «Oh, es tut uns gut zu hören, dass wir nicht vergessen wurden.» Manchmal können wir nichts anderes tun, als für sie zu beten. Wir haben immer wieder erlebt, dass da, wo wir menschlich nichts mehr tun können, Gott Wunder tut und Menschen aus Situationen ohne Hoffnung herausholt. Vielleicht geschehen auch Wunder, weil die Menschen im Libanon offen dafür sind. Sie tun sie nicht als Zufall ab. Wenn etwas Übernatürliches passiert, steckt Gott dahinter.

Wir sind gefordert, als Träger von Gottes Liebe. Die Spannung zwischen der Hisbollah und dem Rest der Bevölkerung ist einfach da. Die Hisbollah und die Freunde der Hisbollah sind Ziele von Vergeltungsschlägen. Die Leute haben Angst, dass, wenn sie Vertriebene aufnehmen, ihr Haus oder ihr Dorf Ziel eines Vergeltungsschlags wird. Da sind Bomben an Orte eingeschlagen, wo man nicht damit gerechnet hat. Wie können wir ganzheitlich für die Menschen da sein? Vertriebene haben keine Matratzen, keine Decken dabei, Esswaren fehlen. Kirchen und christliche Organisationen haben wunderbare Aktionen gestartet, um den dringendsten Nöten zu begegnen. Sie zeigen den Menschen: Ihr seid nicht vergessen.

Auch wenn ihr zurzeit nicht im Libanon wohnt. habt ihr Familie und Freunde dort. Was hilft euch in dieser Krisenzeit?

L: Jeden Morgen, wenn ich die Augen öffne, schaue ich auf meinem Telefon nach, wer sich gemeldet hat. Das hilft mir durch den Tag. Auch wenn es schwierige Neuigkeiten sind, so weiss ich wenigstens, dass sie am Leben sind. In der Schweiz erfahren wir von Freunden viel Empathie. Es tut gut, wenn ich sagen darf, dass die Situation schrecklich ist und sie Verständnis zeigen. Keiner kommt und predigt mir, wie ich fühlen soll und wie gut Gott ist. Diese Haltung hilft mir.

Thomas, du hast gesagt, beten hilft. Aber wie betet man in einer solchen Situation?

T: In einer Situation, wie jetzt, bringe ich mein Herz zu Gott – meinen Ärger, meinen Stress, meinen Schmerz. Manchmal baut sich in mir eine Wut über all das Böse und Zerstörende auf. Ich will sie nicht gegen Menschen richten. Jesus hat das nie getan. Aber die Wut kommt trotzdem immer wieder. Dann bete ich: «Es ist ja dein Problem. Du bist der Autor des Kosmos, der Schöpfer dieser Welt. Du hast uns Menschen mit einem guten Plan hierher gestellt. Du bist der Erlöser und du bist jemand, der das löst.»

L: Ich weiss nicht mehr, wie ich beten soll. Ich habe keine Worte, keine Ideen, keinen Plan mehr. Mein ganzes Sein ist ein Schrei zu Gott. Zwei Wochen lang habe ich gebetet: «Gott, erbarme dich! Mein Herz ist zerbrochen, es ist zerstückelt.» Und dann schimpfte ich mit Gott: «Siehst du das alles? Wie erlaubst du, dass so viel Böses geschieht? Ich kann nicht Menschen sagen, dass du sie liebst, wenn sie alles verloren haben.» Gerade heute hat mir eine Kollegin erzählt, dass ihr Haus abgebrannt ist. Was soll ich ihr sagen? Gott liebt dich? Natürlich, Gott liebt sie. Aber ihr Haus ist abgebrannt und sie besitzt nur noch einen Koffer. Manchmal antwortet mir dann Gott und sagt: «Ich liebe sie mehr als du. Ich habe sie gemacht. Ich bin für sie gestorben.» Und ich antworte: «Schau du, wie du ihnen deine Liebe vermitteln willst.»

Ihr habt erlebt, wie sich die Situation im Libanon stetig verschlechtert hat. Das ist der neuste Ausbruch. Hat sich euer Glaube dadurch verändert?

L: Vor 10 Jahren war ich der Meinung, dass es gut ist, wenn man terroristische Gruppierungen auslöscht. Doch in dieser Gruppe, die wir als Terrorgruppe bezeichnen,  gibt es Leute, die wir persönlich kennen. Und wir kennen Leute im Freundeskreis dieser Bewegung – Lehrer unserer Kinder oder ihre Kollegen aus der Schule oder der Uni. Zu manchen haben wir ein gutes Verhältnis. Sie sind kein gesichtsloser Apparat. Es sind Menschen mit Familie. Was sollen wir denen tun, die uns hassen, uns Böses tun, uns verfluchen? Jesus hat die Antwort in Matthäus 5 gegeben: Liebt eure Feinde. Es ist, als ob mir das erst jetzt bewusst wird. Ich glaube, mein Herz wächst hin zu Jesus Christus. Ich kann mich nicht mehr freuen – auch wenn die schlimmsten Terroristen sterben: Ich kann mich nicht freuen.

T: Mir geht es ähnlich. Ich bin in Dimensionen des Glaubens gerutscht, die ich früher nicht kannte. Durch die Umstände, die wir erleben. In der Schweiz, habe ich gedacht, die Feinde sind die, die deinen Glauben belächeln oder dir den Rücken zukehren. Und jetzt bist du an einem anderen Ort. Du hast Feinde, weil sie dein Leben in Gefahr bringen und deine Gesellschaft kaputt machen. In Psalm 23 sagt David am Schluss: «und er deckt mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde». Lange Zeit habe ich gedacht, dass Gott mir den Tisch deckt und die anderen zuschauen können und nichts davon haben. Da hat mir der Heilige Geist aufgezeigt, was im Orient «im Angesicht meiner Feinde» bedeutet. Nämlich, dass du deinen gedeckten Tisch mit ihnen teilst. Gott deckt nicht den Tisch vor mir, um die anderen zu verspotten. Sondern damit ich der bin, der grosszügig sein kann, weil der Vater im Himmel grosszügig ist. Ich brauche dazu oft Überwindung.

L: Ich sehe, was Jesus macht. Das ist das Schöne. Wir können nichts aus uns bewirken. Es ist seine Arbeit und er schickt uns seinen Heiligen Geist, um uns darauf aufmerksam zu machen und um unsere Herzen mit seiner Liebe zu füllen. Ein kleines Zeichen von Liebe macht den Unterschied.

Interview vom 9.10.24 von Sara Rhyner

und heute?

Portraitbild

Nachtrag vom 10.3.25

Lydia und Thomas sind am 1. Januar 2025 nach ihrem Sabbatical in den Libanon zurückgekehrt.  Sie durften ihre Freunde und die Familie wieder in die Arme schliessen.  «Uns geht es gut», erzählt Thomas, «wir durften während dem Sabbatical Seelsorge empfangen und können uns nun um andere kümmern.»

Die Situation im Libanon beschreiben Lydia und Thomas wie folgt: «Das Land atmet auf.» Sobald die Waffenruhe verkündet wurde, kehrten rund 90 % der Geflüchteten nach Hause zurück. Wer kein Haus mehr hatte, campierte auf dem Grundstück. Die Menschen haben grosse Hoffnung in die neugewählte Regierung.

Die Menschen im Libanon erleben schwierige Zeiten. Sie verlassen ihre Häuser im Kriegsgebiet, auf der Suche nach einem sicheren Ort. Ende September waren bereits über 500 000 Vertriebene in Beirut, ihre Zahl steigt täglich. Unser Partner vor Ort – LifeAgape (Campus für Christus) – beteiligt sich an der Nothilfe.

LifeAgape Libanon setzt sich seit Jahren für Menschen in Not ein. Ihr Ansatz baut auf Nachhaltigkeit durch praktische, materielle und medizinische Nothilfe. Diese verbinden sie mit der Traumabewältigung und der Hoffnung im Glauben an Jesus Christus in diesen schwierigen Zeiten.

Mit deiner Spende unterstützt du die Arbeit von LifeAgape Libanon. Du verbesserst dadurch die Situation der Menschen, die von der Krise betroffen sind.

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Interview von Sara Rhyner

Sie leben in Kuba und im Libanon – in Ländern, die in Krisen stecken, die sich seit Jahren verschärfen. Im Interview erzählen Nicole Metzler Domingez (Kuba), Thomas und Lydia Liechti (Libanon), wie sie mit den Menschen vor Ort unterwegs sind und warum der Ausdruck «auf Augenhöhe» Ansichtssache ist.

Ihr seid über 20 Jahren in Ländern mit vielen Herausforderungen. Wie erlebt ihr das?

Nicole: Uns wird bewusst, wie privilegiert wir sind. Wir sind freiwillig im Land und könnten rein theoretisch jederzeit gehen. Das macht einen grossen Unterschied. Wenn Kubaner die Insel verlassen können, dann gehen sie. In den letzten 16 Monaten sind über 1 Million Kubaner ausgewandert.

Thomas: Das ist im Libanon nicht anders. Jeder, den ich kenne, versucht das Land zu verlassen. Kaum jemand sagt: «Ich bin glücklich hier». Für mich ist es einfacher. Ich habe zwei Beine: eines im Libanon, eines in der Schweiz. Dadurch bin ich wahrscheinlich emotional stabiler als die Libanesen, die keine Wahl haben. Durch die  Kraft des Heiligen Geistes, kann ich in dieser «instabilen» Situation da sein und die anderen mittragen in dem, was sie durchleben.

Euer Leben ist mit viel Verzicht verbunden. Was gibt euch die Motivation, vor Ort zu bleiben?

Nicole: In Kuba bleiben wir, wegen unseren Mitarbeitenden. Zwar habe ich ihnen gegenüber manchmal auch ein schlechtes Gewissen, weil ich als Schweizerin andere Möglichkeiten habe, aber wenn ich sehe, was unsere Arbeit bewirkt, dann weiss ich, dass wir hier richtig sind.

Lydia: Zu sehen, wie Jesus im Leben der Menschen um uns herum wirkt, gibt uns Schub. Es ist mit viel Freude verbunden, wenn durch unser Coaching Menschen aufblühen. Dann vergessen wir, wie schlimm das Leben um uns herum ist.

Habt ihr ein Beispiel?

Nicole: Ich bin zurück von einer Reise in den Osten der Insel. Ich habe 3 Leiterschaftskurse für Frauen gegeben. Mich beeindrucken die Frauen, die in Kuba leben und bleiben wollen. Es motiviert mich, mit ihnen zu arbeiten. Ich schaue mit ihnen Themen wie Berufung, Führung, Selbstvertrauen, Sexualität und/oder gewaltfreie Kommunikation. Bei den Kursinhalten bin ich auf die Wünsche der Frauen eingegangen. Ihre Begeisterung zu sehen und zu erleben, dass das, was ich ihnen erzähle, in ihren Herzen ankommt. Wenn ich die Frauen frage, was sie denn nach dem Kurs empfinden, sagen sie: «berührt», «geheilt», «bestärkt» oder «freigesetzt». Dann denke ich «Wow, deswegen bin ich hier!» Wir können in Kuba die Gaben, die Gott uns geschenkt hat, nutzen. Wir finden hier ein Gefäss, wo es ankommt. So lohnen sich die ganzen Strapazen mit Stromausfällen, Reisen mit maroden Verkehrsmitteln oder die Familie eine Woche allein zu lassen. Man muss bei jedem Projekt damit rechnen, dass es in die Hosen geht. Dann muss man warten und plötzlich – Jahre später – ist alles bereit dafür. Wie cool ist das?

Lydia: Wir hatten die Möglichkeit ein Seminar für Leitungspersonen in der Studentenarbeit aus Libanon, Syrien, Jordanien und Irak zu geben. Wir gaben Inhalte aus «Leben in Freiheit» und «Gottes Stimme hören» weiter. Es war so eindrücklich zu sehen, wie der Heilige Geist gewirkt hat. Während dem Seminar sind Teilnehmende aufgestanden und haben erzählt, wie der Heilige Geist wirkt. Das bereitet uns so viel Freude.

Welchen Stellenwert haben die Beziehungen, die ihr vor Ort pflegt?

Nicole: Es ist ein langfristiges Unterwegssein, das Zeit und Kraft braucht. Veränderungen brauchen Zeit. Die Frauenkurse wären nicht möglich gewesen, hätten wir nicht eine gute Beziehung den Verantwortlichen der Denominationen  – unsere Kursinhalte hätten sonst Unmut ausgelöst. Persönlich fehlen mir enge Freundinnen. In meiner Position ist das mit einheimischen Frauen nicht möglich. Die hierarchische Kultur lässt das nicht zu. Ich bleibe die Chefin.

Thomas: Ich treffe mich wöchentlich mit meinem Schwager – wir tauschen uns aus und lassen auch mal unsere «Herzen bluten». Dadurch, dass ich schon so lange im Land bin, werde ich nicht mehr als Ausländer wahrgenommen. Ich habe einfacheren Zugang zu den Menschen und werde eher als gleichwertig angesehen. Vor allem weil ich nach bald 30 Jahren die Sprache fliessend spreche. Endlich verstehe ich auch die Witze ohne ausführliche Erklärungen. Das war lange Zeit eine Hürde. Humor ist ein Schlüssel.

Lydia: Wir hatten das gleiche Schicksal wie die Libanesen. Wir haben unser Gespartes auf der Bank verloren. Wir konnten nicht mehr für die Schulkosten unserer Tochter aufkommen. Das gemeinsame Leid hat uns näher zu den Menschen gebracht. Weil wir das gleiche Schicksal erleben und die gleichen Sorgen haben. Ich habe Familie in Libanon und wir pflegen diese Beziehungen. In unserer Kultur zählt nicht die Begegnung auf Augenhöhe, sondern die herzliche Beziehung. Frauen, die ich begleite, geben mir Einblick in ihr Herz und sie wollen meine Meinung hören. Das ist ein Ausdruck dieser Herzensbeziehung. Das zählt und ist viel wichtiger als das, was wir in der Schweiz unter Augenhöhe verstehen.

Nicole: Wir haben in Kuba eine starke Hierarchie im Staat und auch in der Politik. Wenn ich Kurse gebe, sagen sie Profe zu mir – das heisst Lehrerin und drückt Wertschätzung aus. Die Kubanerinnen und Kubaner haben Schwierigkeiten, über die kulturellen Grenzen hinweg zu denken. In Kuba ist man sich gewohnt, dass einem alles befohlen wird. Deswegen müssen die Leute keine Selbstverantwortung übernehmen.

Könnte man sagen, dass in Kuba die Vertrauensebene wichtig ist?

Nicole: Es hat auf jeden Fall mit Vertrauen zu tun. Es ist wie ein Boden, der hier gar nicht existiert: Dass der Mitarbeiter erfahren darf, dass es der Chef eigentlich gut meint, sich in ihn investiert und ihm hilft. Viele Leute sind anfangs oberflächlich und werden erst mit der Zeit ehrlich. Notlügen helfen, um keine Verantwortung tragen zu müssen. Es geht uns  darum, Wissen zu vermitteln, damit sie Kompetenz erlangen, um Selbstverantwortung zu übernehmen. Unser Auftrag ist es, Gott und unsere Nächsten auf Augenhöhe zu begegnen. Das ist Teil der Versöhnung – miteinander einen Weg zu gehen. Da zeigt sich, welche Qualität der Glaube hat. Da sind wir schon sehr nahe am Kern der Botschaft. Es braucht einfach Zeit. Das passiert nicht in einem Jahr.

Was möchtet ihr sonst noch sagen?

Lydia: Die Menschen wollen nicht nur deine Worte, deine Expertise – das brauchen sie am wenigsten. Sie müssen dich beobachten können: Wie du dich ärgerst, wie du mit deinem Mann umgehst, wie du deine Kinder behandelst, wie du Entscheidungen triffst, wie du dich versöhnst – sie wollen dich beobachten und das braucht Jahre. Und dann ist dein Sein eine Botschaft. Sie haben dein Lebenszeugnis gelesen und gehört, bevor du Worte benutzt. Da spielt es eine grosse Rolle, über lange Zeit mit den Leuten unterwegs zu sein. Sie sprechen über dich und schicken die Freunde zu dir.

Nicole: Amen dazu! Beziehung, einen Weg zusammen gehen, darum geht es. Dann funktioniert es im Kleinen und vielleicht auch ganz anders als du gemeint hast. Beim zweiten Frauenkurs hatten sie zum Teil 14- 16 Stunden lang keinen Strom. Die Frauen konnten wegen der Hitze in der Nacht nicht schlafen. Einige sind 8 km zu Fuss gegangen, um den Kurs zu besuchen. Sie sind gekommen. Da haben die in Havanna gestaunt. Wenn diese Frauen so viel auf sich nehmen, um den Kurs zu besuchen, dann denken die anderen: «Wow, da lohnt es sich zu kommen.»

Thomas: Ich habe gelernt, dass ich viel Gnade mit mir selbst brauche auf dem Weg, den ich mit den Menschen unterwegs bin. Meine beiden Standbeine: Schweiz und Libanon – sind zwei so unterschiedlich. Der Kontext im Libanon funktioniert nicht so geradlinig wie wir es uns gewohnt sind und es braucht Zeit, in die Aufgaben hineinzuwachsen.

Situation in Kuba und Libanon:

Die Menschen in Libanon leiden unter den Folgen einer Wirtschaftskrise 2019; einer Explosion in Beiruts Hafen 2020, die Teile der Stadt zerstört hat; Erdbeben und den Konflikten im Nahen Osten.  Die Menschen vor Ort sind von Hunger und Armut bedroht – die Stromversorgung ist zusammengebrochen. Im Weltglücksbericht befindet sich der Libanon auf Platz 142 von 143 erfassten Ländern.

Kuba ist die grösste Insel in der Karibik. Regelmässige Wirbelstürme richten Schäden an. Noch mehr leidet die Bevölkerung Kubas unter internationalen Sanktionen. Es herrscht Nahrungsmittel- und Benzinknappheit. Wegen mangelnder Zukunftsperspektiven verlassen viele Kubaner die Insel, sobald sich ihnen eine Möglichkeit bietet.

Hier erfährst du mehr über unsere Arbeit in Kuba und im Libanon (Nahen Osten)

Wir waren auf Hausbesuchen und brachten Lebensmittelpakete vorbei, haben mit Jugendlichen Zeit verbracht und mit Kindern gespielt. Während eines Einsatzes in Jordanien durften wir unsere Partnerinnen vor Ort begleiten. Dabei durften wir immer wieder erleben, wie Gottes Liebe Hoffnung in hoffnungslosen Situationen verbreitete.  

«Ich musste entscheiden, ob ich meinen Töchtern Hygieneartikel für ihre Periode oder Gas zum Kochen und Heizen kaufe», erzählt eine jordanische Mutter. Sie ist etwa 40 Jahre alt. Doch das Erlebte lässt sie zwanzig Jahre älter aussehen. Sie gehört zu den vielen, die vor dem Syrienkrieg nach Jordanien geflüchtet sind. Sie erzählt von ihrer Krebserkrankung; ihrem Mann, der sie verlassen hat und ihren Söhnen die sich im Ausland mehr schlecht als recht durchschlagen. Sie selbst ist mit ihren zwei Töchtern in Jordanien geblieben und bekommt keine Unterstützung von staatlicher Seite. Seit sechs Monaten kann sie ihre Miete nicht mehr bezahlen. Ihr Vermieter droht mit dem Rauswurf. Die Frauen unserer Partnerorganisation besuchen sie regelmässig und bringen das Nötigste vorbei. So auch bei diesem Besuch, bei dem wir sie begleiten durften. Ich hatte den Eindruck, ich solle der Mutter und ihren Töchtern die Geschichte vom Gelähmten aus der Bibel erzählen. Ich erzählte ihr, wie seine Freunde, das Dach abgedeckt haben, um ihn vor Jesus runterzulassen. Ich habe ihr gesagt, dass wir sie nun, wenn sie möchte, wie diese Freunde vor Jesus bringen, und für sie beten. Sie bejahte. Während dem Gebet, kamen ihr die Tränen. Gottes Gegenwart war spürbar unter uns. Er ist der, der ihr Schicksal wenden kann. 

Das sind nur klitzekleine Eindrücke unseres Einsatzes. Es gäbe noch so viel mehr zu erzählen. Eine Teilnehmerin hat den Einsatz treffend zusammengefasst: «Mein Highlight ist, die Frauen und Kinder kennenzulernen – ihre Persönlichkeiten und Lebensgeschichten. Und zu sehen, wie in der Hoffnungslosigkeit Jesus wirkt und diese Frauen und Kinder berührt.»

«Meine Schwester»

Unseren Partnerinnen geht es um die Menschen. Sie besuchen die Frauen und Familien immer wieder und organisieren Treffen. Sie üben mit ihnen Lesen, unterstützen sie so gut wie möglich bei der Verarbeitung von Traumata und studieren mit ihnen die Bibel. Bei einem Hausbesuch kommt der Mann des Hauses auf die Mitarbeiterin zu. Er spricht sie mit «meine Schwester an» und drückt damit seine Wertschätzung aus. Dass er den Tee serviert, ist in der lokalen Kultur ungewohnt. Das kommt davon, dass eine der Mitarbeiterinnen ihm erklärt hat, wie er seiner Frau seine Liebe zeigen kann – nicht mit Gold, sondern mit kleinen Gesten. Das kennen die Leute nicht. Sie haben den Eindruck, sie könnten die Liebe nur mit Reichtum zeigen. So lernen sie ganz praktisch von den Mitarbeiterinnen. Bei einem anderen Hausbesuch erklärt die Mitarbeiterin der jungen Frau, wie sie verhüten kann. Mit 25 Jahren hat sie bereits fünf Kinder. Das Engagement der Mitarbeiterinnen geht weit über Nothilfe hinaus – es sind Freundschaften auf Augenhöhe entstanden, die von gegenseitiger Zuneigung und Respekt zeugen.

Libanon wurde einst die Schweiz des Orients genannt. Davon sind wir heute meilenweit entfernt, denn das Land versinkt im Chaos. Wir leben ausserhalb Beirut und spüren die aktuellen Herausforderungen der Bevölkerung am eigenen Leib.

Drei Tage vor der Umstellung zur Sommerzeit, verkündete ein Minister, dass die Umstellung um einen Monat verschoben werde – wegen dem Ramadan. Damit waren nicht alle einverstanden. Bedeutende Fernsehstationen, verschiedene christliche Institutionen und die Schulbehörde entschieden sich, nicht mitzumachen und hielten am ursprünglichen Termin fest. Bis das Vorgehen geklärt war, lebten wir eine Woche in zwei Zeitzonen gleichzeitig. Das ist nur ein Beispiel für das Chaos, das in unserem Land herrscht. Bedeutungsvoller als die Zeitumstellung ist für die Leute der Währungsverfall der libanesischen Lira. Zwischen Januar und März hat sich der Umrechnungsfaktor verdreifacht. Schon mit der gescheiterten Revolution 2019 verloren Bankeinlagen an Wert. Heute sind sie wertlos. Wo führt das hin?

Warum geht ihr nicht?

Nach der grossen Explosion im Hafen von Beirut 2020 konzentrierte sich die Gesellschaft auf den Wiederaufbau der zerstörten Zone. Doch bei der Inflation können wir alle nur tatenlos zusehen. Im Winter heizen wir nur noch einen Teil unserer Wohnung, die restlichen Räume bleiben ungenutzt. Für Benzin oder Brot müssen wir teilweise Schlange stehen. Weil die Stromversorgung nicht funktioniert, produzieren wir eigenen Solarstrom. Wer kann, verlässt das Land. Das sind Ärzte, Lehrpersonen und andere Fachkräfte. Diese fehlen nun, was die Situation weiter verschlimmert. «Was tut ihr eigentlich noch hier? Warum geht ihr nicht? Ihr könnt gehen, wir müssen bleiben», fragte eines Tages Lydias Schwester. Dann brach sie in Tränen aus, und bevor wir antworten konnten, dankte sie für unsere Arbeit und unser Dasein. Wir sind für die Menschen eine Ermutigung, weil wir gemeinsam mit ihnen das Rütteln und Schütteln Libanons durchleben und durchstehen.

Existenzfragen

Die Erdbeben-App warnt 20 Sekunden, bevor die Schockwellen uns erreichen. Anfang März spürten wir eine Woche lang das Rütteln und Schütteln des Bebens, das in der Türkei und Syrien so grosse Schäden angerichtet hat. Materielle Schäden gab es im Libanon nur wenige. Aber die Beben rissen bei den Menschen alte Wunden auf. Die Menschen im Norden des Landes und in Beirut rannten in Panik auf die Strassen, im Wissen, dass ihre Häuser nicht mehr viel aushalten. Erinnerungen an den Krieg und die grosse Explosion kamen wieder hoch – unverarbeitete Traumata. Das führt dazu, dass die Libanesen Existenzfragen plagen und sie Antworten darauf suchen. Wir sind mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt und besuchen sie in ihren Häusern. Die Besuche dauern oft lange: In der ersten Stunde geht es um Höflichkeiten, Oberflächliches und Allgemeines. In der zweiten Stunde kommt Persönliches zur Sprache. Wenn wir denken, es wäre Zeit zum Aufbrechen, beginnen die Fragen über den Glauben an Jesus. Wir erzählen ihnen Geschichten von Jesus – wie er geheilt hat und mit den Menschen unterwegs war. Wir wollen ihnen Gottes Liebe näherbringen, sie aber keinesfalls zu einer Religion bekehren. Wir ermutigen sie, ihren Glauben entsprechend ihrer Kultur und Sprache auszudrücken, und nicht einfach abendländische Vorstellungen und Formen zu übernehmen. Dabei binden wir immer die ganze Familie ein, denn der Familienzusammenhalt ist wichtig. So entdecken sie das Evangelium gemeinsam.

Das Leben im Libanon ist anstrengend. Wir haben uns an den Stresslevel der wiederkehrenden Krisen gewöhnt, aber die Inflation und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft und Gesellschaft machen uns zu schaffen. Wir wollen unser Herz nicht vor der Not der Menschen verschliessen, auch wenn wir über unser Vermögen beansprucht werden. Wir wollen eine Oase im Chaos sein.

Über meinem Kopf hängen hunderte von kurios übereinander gelegte Stromkabel, die feuchte Hitze treibt mir den Schweiss auf die Stirn, die Luft riecht verschmutzt und ich muss aufpassen, wo ich hintrete, um dem Müll und den hupenden Autos auszuweichen. Kaum vorstellbar, dass dieses Land bis vor 50 Jahren den Namen «Die Schweiz des Nahen Osten» trug. Wie aus einer einst reichen Gesellschaft, durch wirtschaftliche Krisen, Korruption, Krieg und der Explosion am Hafen von Beirut im Jahr 2020, ein von Armut gezeichneter Ort wurde, bewegte und ermutigte mich, am Einsatz im Libanon teilzunehmen.

Mit dem Relief Team von Life Agape Libanon waren wir in Beirut unterwegs und trafen Menschen, die von ihnen unterstützt werden. Wir verteilten Essenscoupons, beteten für die Leute, erzählten Zeugnisse und hörten uns ihre Geschichten an. Viele waren syrische Flüchtlinge, die Wunderbares mit Jesus erlebt haben. Sie durften erfahren, wie er ihnen in ihrer schrecklichen Not Hoffnung schenkte. Die Geschichte eines jungen syrischen Mädchens, das mir während eines Hausbesuchs gegenüber sass, berührte mich besonders: Vor einiger Zeit stand sie auf einer Brücke, bereit, sich in den Tod zu stürzen. Sie sah keine Hoffnung mehr für ihre Zukunft. Ihr Traum war es einst, Architektur zu studieren. Durch den Krieg und die Flucht in ein anderes Land wurde ihr die Möglichkeit auf eine Ausbildung genommen. Sie sprang… und da begann ihre Geschichte mit Jesus: Sie wurde vom Tod verschont. Gläubige Christen, die das Mädchen und ihre Familie kannten, beteten für sie und sie durfte Heilung an ihrem Körper erleben. Durch die Bekanntschaft zu einer freiwilligen Mitarbeiterin von Life Agape, wird ihre Familie nun unterstützt und sie lernen Jesus immer besser kennen. Ausserdem bekam das Mädchen die Möglichkeit einen Englischunterricht zu besuchen. So steigen ihre Chancen, später eine öffentliche Schule zu besuchen und ihr Traum, Architektin zu werden, blühte wieder neu auf.

Joe, der als Operation Manager bei Life Agape angestellt ist und für unsere Gruppe alles vor Ort organisiert hatte, machte mit uns auch einen Ausflug an den Hafen. Obwohl bereits drei Jahre vergangen waren seit der Explosion und vieles wieder aufgebaut wurde, war das Ausmass der Zerstörung immer noch sichtbar. Wir erfuhren, dass sich einige der Life Agape Mitarbeiter, unter anderen er selbst, an dem Tag des Unglücks eigentlich in der Nähe des Hafens aufgehalten und die Explosion mit Sicherheit nicht überlebt hätten. Durch unterschiedliche, scheinbar unbedeutende Ereignisse, wie ein Streit, der geschlichtet werden musste oder spontane Planänderungen, ist Gott sei Dank keinem Mitarbeitenden etwas geschehen.

Neben der Relief Arbeit mit Life Agape durften wir als «Swiss Team» zwei Tage an einer Nachhilfeschule ein Ferienprogramm durchführen. Während dieser Zeit wurden wir von Lydia und Thomas Liechti begleitet. Sie kannten die Schulleiterin und halfen uns tatkräftig beim Übersetzen auf Arabisch und dem Bändigen der wilden Kinderschar. Für mich waren diese zwei Tage eines der Highlights der Basic Challenge. Die Energie und Freude der Kinder war ansteckend. Am meisten überrascht hat mich, wie begeistert die Kinder vom Bastelprojekt waren, welches ich vorbereiten durfte. Sogar die Jungs wollten lieber ein Armbändeli für ihre Schwestern oder Mütter herstellen, als Fussball zu spielen.

Während der erste Tag an der Schule nervenaufreibend und die Kinder sehr wild und manchmal auch aggressiv waren, durften wir am zweiten Tag erleben, wie sie aufmerksam der Geschichte von den vier Freunden lauschten, die ihren lahmen Freund vor Jesus brachten. «Wie haben die Freunde den Gelähmten durch das Dach nach unten gelassen?», «Woher hatten sie die Seile?». Mit solchen und weiteren Fragen wurde Seraina Nüesch von den Kindern gelöchert. Auch beim Bastelprogramm am Nachmittag waren alle sehr konzentriert und ich war begeistert, wie gut viele der Kinder die Knüpftechnik beherrschten, die ich ihnen beibrachte.

Mit einem Rucksack voller Erinnerungen, einem vollen Bauch und Liebe für die Leute, die im Libanon leben, kehrten wir nach Hause zurück.

Nadine Wittwer ist Grafikerin bei Campus für Christus. Sie hat mit ihrem Mann Pascal an der «Lebanon Experience» von Agape international teilgenommen.

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